Die DGPPN trauert um Dorothea Buck
Inspirierend, beharrlich, eigensinnig, authentisch, warmherzig, von zierlicher Gestalt, aber zugleich kämpferisch und sich unermüdlich für die „sprechende und menschliche Psychiatrie“ einsetzend – so wird Dorothea Buck zu Recht beschrieben. Mehr noch: Sie war – und bleibt es auch nach ihrem Tod – Hoffnungsträgerin für viele Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie verstarb am 9. Oktober 2019 im Alter von 102 Jahren in Hamburg.
Dorothea Buck wurde 1917 in Naumburg an der Saale als viertes von fünf Kindern geboren. Sie war Zeitzeugin des grausamen NS-Regimes und als Zwangssterilisierte Opfer der menschenverachtenden NS-Ideologie. 1936 wurde sie das erste Mal mit der Diagnose einer Schizophrenie in eine psychiatrische Klinik, die „Von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel“ bei Bielefeld, eingewiesen. Damals war sie 19 Jahre alt. Die Erfahrungen, die sie dort machte, prägten und bestimmten ihr gesamtes zukünftiges Leben: vor allem das Erleben einer – wie sie selbst immer wieder anklagte – „sprachlosen Psychiatrie“. Während dieses Aufenthaltes in Bethel wurde sie auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert.
Während eines stationären Aufenthaltes in Frankfurt am Main im Jahr 1943 musste sie miterleben, wie Mitpatientinnen und -patienten mit psychischen Erkrankungen Opfer der NS-Euthanasie wurden. Auch Psychiaterinnen und Psychiater waren Täter.
Dorothea Buck verarbeitete ihr Leid zunächst mit Hilfe der Kunst: Nach zunächst freiberuflicher Tätigkeit als Bildhauerin, lehrte sie von 1969 bis 1982 als Lehrerin für Kunst und Werken an der Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg. Schließlich trieben ihre Erlebnisse sie an, sich mit unermüdlichem Engagement für die Aufklärung und die Anerkennung der Verbrechen an psychisch kranken und behinderten Menschen während des NS-Regimes einzusetzen und für eine „humanere Psychiatrie“ zu werben. So schrieb Dorothea Buck ein Theaterstück, „Die Tragödie der Euthanasie“, über die systematischen Morde an psychisch kranken und behinderten Menschen, hielt Vorträge, schrieb Briefe an Politiker und Aufsätze sowie ihren autobiografischen Bericht „Auf der Spur des Morgensterns. Psychose als Selbstfindung“, der 1990 zunächst unter ihrem Pseudonym Sophie Zerchin, einem Anagramm aus dem Wort Schizophrenie, veröffentlicht wurde. Mit diesem autobiografischen Bericht machte sie vielen anderen Patienten Mut, ihren eigenen, individuellen Weg zu psychischer Gesundheit zu suchen.
Zusammen mit anderen Betroffenen gründete sie im Jahr 1987 den jetzt als Arbeitsgemeinschaft weiter bestehenden „Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten“, der sich für die Anerkennung der Zwangssterilisierten als NS-Verfolgte und gegen das Vergessen des erlittenen Unrechts einsetzte. Ab 1989 entwickelte Dorothea Buck zusammen mit Prof. Thomas Bock in Hamburg Psychoseseminare und begründete die Idee des Trialogs zwischen Betroffenen, Angehörigen und den Behandlern. Im Jahr 1992 war sie eine der Gründerinnen und Gründer des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener (BPE) e. V., deren Ehrenvorsitzende sie später wurde.
Dorothea Buck ging es stets nicht nur darum, zu mahnen, sondern zu ermutigen, nicht nur zu kritisieren, sondern aufzuklären und zu vermitteln. Durch ihr bewundernswertes Wirken hat Dorothea Buck einen großen Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch erkrankter Menschen geleistet.
Folgerichtig wurden Dorothea Buck im Jahr 1997 das Verdienstkreuz 1. Klasse und 2008 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Im Jahr 2017 wurde sie zudem in Hamburg für ihr Lebenswerk mit der Medaille für Treue Arbeit im Dienste des Volkes und der Ehrenmedaille Portugaleser in Silber ausgezeichnet.
Mit „Himmel und Mehr – Dorothea Buck auf der Spur“, einem wunderbaren Film über die Lebensgeschichte von Dorothea Buck, hat die Filmregisseurin Alexandra Pohlmeier eine bleibende Erinnerung geschaffen. Unvergessen, wie Dorothea Buck in einem Videointerview Psychiaterinnen und Psychiater aus aller Welt zum letzten Weltkongress für Psychiatrie nach Berlin eingeladen hat.
Bis zuletzt, bis ins sehr hohe Alter, hat Dorothea Buck sich für die Interessen von Menschen mit psychischen Erkrankungen und gegen das Vergessen der grausamen Verbrechen an Hunderttausenden psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen während der NS-Zeit eingesetzt. Es war ihr leider nicht mehr möglich, im Jahr 2010 an der Gedenkveranstaltung während des DGPPN-Kongresses, die den Opfern der Psychiatrie im Nationalsozialismus gewidmet war, teilzunehmen. Dies bedauerte sie sehr, brachte sich aber trotzdem mit ihrem unermüdlichen Engagement aus der Ferne ein. Sigrid Falkenstein, die als Angehörige von Anna Lehnkering, welche im Zuge der Aktion T4 in Grafeneck ermordet wurde, eine Rede bei dieser Gedenkveranstaltung hielt, zitierte seinerzeit Dorothea Bucks Worte: „Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die äußeren Lebensumstände sich entscheidend verschlechtern.“
Wir verlieren mit Dorothea Buck eine große Persönlichkeit, die psychisch erkrankten Menschen und deren Angehörigen eine starke Stimme verlieh. Wir werden sie nicht vergessen und sind sicher, dass ihre Stimme auch nach ihrem Tod nicht verhallt. Die DGPPN trauert um Dorothea Buck.
Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider (Düsseldorf) und Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz (Berlin) für den Vorstand der DGPPN